Die unterschätzte Gefahr
Sport ist gesund und stärkt das Herz – aber nur, wenn der Körper nicht durch eine Erkrankung geschwächt ist. Kehrt ein Sportler nach einem Atemwegs- oder Magen-Darm-Infekt zu früh zum Training zurück, kann es passieren, dass sich eine Herzmuskelentzündung (Myokarditis) entwickelt. Sie gehört zu den besonders gefürchteten Komplikationen eines verschleppten Virusinfekts, denn sie kann zu bleibenden Herzschäden und im Extremfall sogar zum Tod führen.
von Dr. Nicole Schaenzler
Als Leistungssportler würde sich Daniel M. nicht bezeichnen. Dennoch trainiert der 24-Jährige fast täglich, um als Hobbyhandballer fit und erfolgreich zu bleiben: zweimal die Woche abends gemeinsam mit den Mannschaftskollegen in der Halle, und zusätzlich absolviert er an zwei oder drei Abenden noch ein spezielles Konditions- und Krafttraining für sich allein. Der Sport ist ein wichtiger Bestandteil seines Lebens – doch hätte er ihm beinahe schweren gesundheitlichen Schaden zugefügt, vielleicht sogar das Leben gekostet. Das erste Mal merkte der angehende Lehrer während eines Mannschaftstrainings, dass etwas nicht stimmte: »Ich fühlte mich schlapp und verspürte leichte Schmerzen in meiner Brust«, erinnert er sich. Am nächsten Tag fühlte er sich kaum besser, selbst das Treppensteigen bereitete dem durchtrainierten Freizeitsportler nun Mühe. Für ihn jedoch kein Grund, das Bett zu hüten: »Es stand ein wichtiges Spiel an, das wollte ich auf keinen Fall verpassen. Also nahm ich eine Tablette gegen die Brustschmerzen und verschwieg dem Trainer mein Unwohlsein«, erklärt Daniel M. Nach dem Spiel bekam er dann jedoch so starke Kreislaufprobleme, dass ein Mannschaftskollege ihn direkt ins Krankenhaus fuhr. »Die Ärzte behielten mich gleich da. Noch am selben Abend erhielt ich die Diagnose: akute Herzmuskelentzündung«, sagt Daniel M.
Kein Sport und auch sonst keine körperliche Belastung!
Eine Woche lang musste Daniel M. im Krankenhaus bleiben, wo er wegen Herzrhythmusstörungen – eine häufige Begleiterscheinung der Herzmuskelentzündung – rund um die Uhr monitorüberbewacht wurde. »Auch nachdem ich das Krankenhaus wieder verlassen hatte, war erst einmal strikte Bettruhe angesagt. Auf Sport musste ich insgesamt sogar fast ein ganzes Jahr verzichten«, ergänzt er. Heute gesteht er sich ein, dass er wohl nicht genug auf die Warnsignale seines Körper gehört hat: »Schon die Erkältung, die ich kurz vor der Herzmuskelentzündung hatte, hätte ich ernster nehmen müssen. Statt sie vollständig auszukurieren, habe ich meinen Husten einfach ignoriert und bin weiter zum Training gegangen.« Fakt ist: Eine verschleppter Virusinfekt, allen voran ein Atemwegsinfekt, ist einer der häufigsten Gründe für die Entstehung einer akuten Herzmuskelentzündung. »Es kann sein, dass der Betroffene gar nichts von der Herzbeteiligung bemerkt und der Infekt komplikationslos ausheilt. Es ist aber umgekehrt genauso gut möglich, dass eine – unerkannte – Myokarditis zur Ursache für lebensgefährliche Herzrhythmusstörungen und für einen plötzlichen Herztod wird«, erläutert der Chefarzt der Abteilung Innere Medizin II vom Krankenhaus Barmherzige Brüder München Prof. Roland Schmidt. Von dieser Gefahr sind vor allem Sportler betroffen: Sie sind oft so motiviert, dass sie leichte Infekte wie eine Erkältung ignorieren und ihrem geschwächten Körper weiter sportliche Höchstleistungen abverlangen. »Dabei ist ein Zugewinn an Leistung während eines solchen Infekts überhaupt nicht gegeben. Man könnte also in dieser Zeit getrost auf das Training verzichten und stattdessen seinem Körper die Belastungspause gönnen, die er zur Genesung und Regeneration benötigt«, stellt Prof. Schmidt klar. Das sieht auch Daniel M. inzwischen so: »Heute kuriere ich jeden noch so banalen Schnupfen vollständig aus. Außerdem lasse ich regelmäßig einen sportmedizinischen Vorsorge-Check durchführen. Ich hatte zwar das große Glück, dass mein Herz durch die Entzündung keine bleibenden Schäden davon getragen hat, doch möchte ich so etwas nie wieder erleben.«
Nachgefragt
Weil viele Fälle unentdeckt bleiben, sind keine genauen Daten zur Häufigkeit einer Herzmuskelentzündung bekannt. Eine Studie hat jedoch gezeigt, dass bei 20 Prozent von 2200 Herzschwäche-Patienten eine Herzmuskelentzündung ursächlich verantwortlich für die herabgesetzte Herzleistung war. Im Gespräch mit TOPFIT erläutert Prof. Dr. Roland Schmidt vom Krankenhaus Barmherzige Brüder München und Mannschaftsarzt des FC Bayern München u. a., wie eine Herzmuskelentzündung entsteht, wie sie diagnostiziert und behandelt wird – und welches die wichtigste Maßnahme ist, um sich davor zu schützen.
Herr Prof. Schmidt, was macht eine Herzmuskelentzündung so gefährlich?
Prof. Schmidt: Ein Problem ist, dass der Krankheitsverlauf von Fall zu Fall ganz unterschiedlich sein kann und auch für den erfahrenen Arzt oft nur schwer vorhersehbar ist. Glücklicherweise heilt eine Herzmuskelerkrankung in etwa 50 Prozent der Fälle folgenlos aus. Aber ich muss hinzufügen, dass eine Herzmuskelentzündung auch eine dauerhafte Schwächung der Herzmuskulatur, also eine Herzinsuffizienz, zur Folge haben kann. Zudem kann es während der Akutphase zu lebensgefährlichen Herzrhythmusstörungen kommen. Und schließlich kann eine schwere Herzmuskelentzündung zu einem kardiogenen Schock bis hin zum Tod durch Herzversagen führen.
Welche Behandlungsmaßnahmen kommen infrage?
Prof. Schmidt: Eine Herzmuskelentzündung wird am häufigsten durch Viren, seltener durch Bakterien und andere Ursachen hervorgerufen. Die Krankheitserreger führen entweder direkt am Herzen zu einer Entzündung oder sie greifen im Rahmen eines Virusinfekts auf das Herzgewebe über und verursachen so eine begleitende Entzündung des Herzens. Bei der typischen akuten Myokarditis leiden die Patienten meist an einem grippalen Infekt oder haben gerade einen solchen durchgemacht. Aber auch andere Virusinfektionen, etwa eine Influenza, ein Magen-Darm-Infekt oder virusbedingte »Kinderkrankheiten« wie Mumps oder Röteln können eine Herzmuskelentzündung zur Folge haben.
Was genau kann mit einer Hydrogel-Behandlung erreicht werden?
Prof. Schmidt: Leider sind die Symptome in der Regel eher unspezifisch. Dies erklärt, weshalb es oft so schwierig ist, eine Herzmuskelentzündung rechtzeitig zu erkennen und einer angemessenen Behandlung zuzuführen. Wenn jedoch selbst kleinere Belastungen wie Treppensteigen oder ein kurzer Spaziergang als sehr anstrengend erlebt werden, ist dies auf jeden Fall ein Alarmsignal. Oft fühlen sich die Betroffenen zudem abgeschlagen und müde. Weitere Anzeichen können Atemnot, Schmerzen in der Brust und/oder Unregelmäßigkeiten im Herzschlag wie Herzrasen oder Herzstolpern sein. Besonders schwierig ist es, die Erkrankung zu erkennen, wenn eine Myokarditis nahezu symptomlos verläuft.
Wie wird eine Herzmuskelentzündung diagnostiziert?
Prof. Schmidt: Zur Basisuntersuchung gehören ein EKG, das oft schon charakteristische Auffälligkeiten anzeigt, sowie eine Blutuntersuchung. Mit ihr lassen sich z. B. erhöhte Entzündungsparameter und mitunter auch erhöhte Werte von bestimmten Herzenzymen nachweisen, die freigesetzt werden, wenn durch die Entzündung Herzmuskelzellen geschädigt wurden. Ebenso können mithilfe einer Ultraschalluntersuchung Veränderungen am Herzmuskel festgestellt werden. Unverzichtbar ist inzwischen eine Untersuchung mittels Magnetresonanztherapie (Kardio-MRT), die heute in vielen Fällen eine weitgehend sichere Diagnose erlaubt. Auch mittels einer Gewebeprobeentnahme aus dem Herzmuskel kann die Diagnosesicherung der Myokarditis erfolgen.
Auf welche Maßnahmen stützt sich die Behandlung?
Prof. Schmidt: Die Behandlung richtet sich in erster Linie nach der Schwere der Entzündung, verfolgt aber letztlich immer die gleichen Ziele. Ein wichtiges therapeutisches Anliegen ist es, das Herz konsequent zu schonen und zu entlasten. Dementsprechend steht in der Akutphase der Erkrankung eine strikte körperliche Schonung im Vordergrund, und zwar solange, bis von ärztlicher Seite Entwarnung gegeben wurde. Zugleich ist es wichtig, die Herzleistung zu stabilisieren bzw. medikamentös das Herz zusätzlich zu entlasten, um einem Fortschreiten der Herzschwäche entgegenzuwirken. Zusätzlich sollen weitere Medikamente das Auftreten von gefährlichen Rhythmusstörungen möglichst unterdrücken.
Wann ist ein Krankenhausaufenthalt notwendig?
Prof. Schmidt: Dies hängt von der Schwere und dem Verlauf der Entzündung ab. In leichteren Fällen kann der Patient seine Erkrankung zu Hause auskurieren. Es kann aber auch ein Krankenhausaufenthalt notwendig sein, etwa wenn gravierende Herzrhythmusstörungen oder eine sich akut verschlechternde Herzleistung eine ständige Monitorüberwachung erfordern.
Wie lange dauert es im günstigsten Fall, bis der Patient seine gewohnten Tätigkeiten wieder aufnehmen kann?
Prof. Schmidt: Grundsätzlich gilt: Erst wenn sämtliche Beschwerden verschwunden sind und die Kontrolluntersuchungen bestätigen, dass keine Krankheitszeichen mehr nachweisbar sind, kann der Betroffene wieder sein gewohntes Alltagsleben aufnehmen. Allerdings sollte die körperliche Belastung schrittweise gesteigert werden, das gilt auch für diejenigen, die vor ihrer Erkrankung sportlich aktiv waren. Bewährt haben sich z. B. Spaziergänge, die mit der Zeit immer weiter ausgedehnt werden. Das Training – frühester Wiederbeginn nach drei bis sechs Monaten – sollte in der Wiedereinstiegsphase so gestaltet werden, dass man in den ersten Wochen nur in niedriger Intensität trainiert.
Gibt es eine Möglichkeit, sich vor einer Herzmuskelentzündung zu schützen?
Prof. Schmidt: Die beste Präventionsmaßnahme ist, darauf zu achten, dass jeder Infekt komplett ausheilen kann – auch wenn es sich nur um eine banale Erkältung handelt. Wer krank ist, gehört ins Bett oder sollte sich zumindest körperlich schonen. Eine anstrengende körperliche Betätigung bzw. ein sportliches Training sollten solange tabu sein, bis man wieder vollständig genesen ist. Besser ist es sogar, nach dem überstandenen Infekt die Trainingspause noch um einige Tage zu verlängern. Und: Wer sich nicht wohl fühlt, sollte das Training auf jeden Fall sofort abbrechen. Das ist ein Warnsignal, das man grundsätzlich ernst nehmen und baldmöglich von einem Arzt abklären sollte.
Zur Person
Seit knapp 100 Jahren werden im Krankenhaus Barmherzige Brüder München Patienten mit den unterschiedlichsten Erkrankungen betreut und behandelt. Prof. Dr. med. Roland Schmidt ist Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie, Notfall- und Intensivmedizin sowie Sportmedizin und Chefarzt der Abteilung Innere Medizin II, wo sämtliche diagnostischen und therapeutischen Methoden zur Erkennung und Behandlung von Herz-, Kreislauf- und Lungenerkrankungen angeboten werden. Zudem ist PD Dr. Schmidt Internist und Kardiologe der Lizenzfußballspieler des FC Bayern München und führt aufgrund seiner sportmedizinischen Qualifikation im Krankenhaus Barmherzige Brüder spezielle sportmedizinische Untersuchungen durch; dazu gehören auch eine individuelle Leistungsdiagnostik und Trainingsberatung zur Prävention von kardiovaskulären Erkrankungen.
Nähere Infos: www.barmherzige-muenchen.de