Von Dr. Nicole Schaenzler
Viele Menschen wissen nicht, dass bereits eine kleine Wunde eine Blutvergiftung nach sich ziehen kann. Dazu kommt es, wenn eine Infektion im Wundgebiet vom Immunsystem nicht lokal begrenzt gehalten werden kann und sich über den Blutkreislauf im ganzen Körper ausbreitet. Auf diese massive Bedrohung reagiert das Immunsystem so heftig, dass nicht nur die Erreger, sondern auch körpereigene Gewebe und Organe attackiert werden. Im Extremfall kommt es zum tödlichen Multiorganversagen.
Mit einer Bagatellverletzung fing alles an
Fatalerweise ist der zugrunde liegende Infektionsherd oft nicht klar zu erkennen – das birgt die Gefahr, dass er sich unbemerkt ausbreiten kann. Auch Wolfang Strick musste erleben, dass er durch eine vermeintlich abgeklungene »Bagatellverletzung« plötzlich in Lebensgefahr geriet. Alles begann mit einer kleinen Verletzung in der rechten Fußsohle: »Ich war in irgendetwas getreten. Aber ich fühlte mich dadurch kaum beeinträchtigt und die Wunde schloss sich auch bald von selbst wieder«, erinnert sich der 57-Jährige. Deshalb geriet das Ganze erst einmal in Vergessenheit – bis sich der Nutzfahrzeugmeister eines Tages unwohl zu fühlen begann. Innerhalb weniger Stunden verschlechterte sich sein Allgemeinzustand rapide, sodass seine Frau ihn in die Notaufnahme ins Klinikum Landkreis Erding brachte. Wie sich zeigte, die absolut richtige Entscheidung – denn schnell war klar, dass der Grund für das schlechte Befinden ihres Mannes eine Blutvergiftung war, die umgehend intensivmedizinisch behandelt werden musste.
Wettlauf auf Leben und Tod
Es begann ein Wettlauf um Leben und Tod, mehrmals wurde der Zustand von Wolfgang Strick als kritisch bezeichnet. Schließlich gelang es den Ärzten, das drohende Organversagen abzuwenden. Der Kampf um die vollständige Erhaltung des infizierten Fußes ging jedoch verloren, denn die Keime hatten sich bis ins Knochenmark ausgebreitet. Erst wurden die Zehen und dann nach und nach der Vorfuß amputiert. »Insgesamt waren vier Operationen nötig, um das infizierte Gewebe zu entfernen«, so Wolfgang Strick. Dennoch spricht er vom »Glück im Unglück«: Denn dem Gefäßchirurgen war es gelungen, die Fußwurzel, ein Großteil der Sehnen und ausreichend Sohlenhaut zur Stumpfdeckung zu erhalten – und so die notwendigen Voraussetzungen für das Tragen einer Vorfußprothese aus Silikon zu schaffen. Zu den Vorteilen eines solchen Prothesenmodells gehört, dass es der Funktion eines »echten« Fußes sehr nahe kommt. Außerdem lässt es sich in Form und Aussehen maßgenau an die individuellen Gegebenheiten des Patienten anpassen.
Alles braucht seine Zeit
Die Entscheidung für ein Silikonmodell wurde von den Stricks ganz bewusst getroffen: »Nachdem klar war, dass meinem Mann eine Teilamputation nicht erspart werden konnte, habe ich intensiv nach der bestmöglichen Lösung für ihn gesucht und diese in einer maßgefertigten Silikonprothese gefunden«, erklärt Petra Strick. Dies kann ihr Mann nur bestätigen: »Mit der Prothese gehe ich fast so gut wie früher. Laufen über längere Strecken, Gymnastik machen, Barfußlaufen – alles kein Problem. Sogar schwimmen könnte ich mit der Prothese, aber das reizt mich weniger«, schmunzelt er.
Ein weiteres Plus ist das Design. Denn dank ihrer natürlichen Optik fällt die Silikonprothese kaum auf. »Sogar Fußnägel können so nachgebildet werden, dass sie kaum von ‚echten‘ zu unterscheiden sind«, sagt Orthopädietechnikermeister Franz Scherzl. Derzeit trägt Wolfgang Strick die zweite Übergangsprothese: »Da sich der Stumpf nach der OP in seiner Form noch verändert, machen Zwischenlösungen Sinn, die dann immer wieder an die neuen Gegebenheiten angepasst werden können«, erklärt Franz Scherzl. Erst, wenn das Stumpfgewebe vollständig zur Ruhe gekommen ist und keine Veränderungen mehr zu erwarten sind, wird die endgültige Vorfußprothese gefertigt. Bei Herrn Strick ist es jetzt soweit: »Nun ist der lange Weg vom Krankenbett zurück ins aktive Leben endlich abgeschlossen«, freut sich Wolfgang Strick.
Zurück ins aktive Leben dank moderner Prothese
Nach einer Amputation des Vorfußes sind Bewegungsabläufe, die vorher selbstverständlich waren, erst einmal nicht mehr möglich. Hilfe verspricht eine maßgefertigte Prothese aus Silikon: »Damit können die Betroffenen wieder ganz natürlich und fast ohne Einschränkungen gehen«, erklärt der Orthopädietechnikmeister und Geschäftsführende Gesellschafter der Orthoforum Orthopädietechnik in München-Perlach Franz Scherzl im Gespräch mit TOPFIT.Von Dr. Nicole Schaenzler
Herr Scherzl, es gibt Menschen, die nach einer Vorfußamputation zögern, eine Prothese zu tragen. Sind die Bedenken gerechtfertigt?
Herr Scherzl: Es gehört zu den Errungenschaften der modernen Prothesenversorgung, dass wir heute für fast jede Amputationsart und jede Stumpfform maßgefertigte Lösungen finden und dabei die natürlichen Bewegungsabläufe des Menschen nahezu vollständig wiederherstellen können. Auf diese Weise gelingt es in den meisten Fällen, verlorengegangene Funktionen weitgehend auszugleichen und den Betroffenen ihre Mobilität zurückzugeben – die wichtigste Voraussetzung für die Rückkehr in ein aktives, selbstbestimmtes Leben.
Vielen ist ein möglichst authentisches Aussehen ihrer Prothese wichtig. Lässt sich dieser Wunsch erfüllen?
Herr Scherzl: Auf jeden Fall. Dies ist eine besondere Stärke von Silikonprothesen, die in Form und Farbe sehr flexibel sind. Tatsächlich können wir Silikonprothesen so gestalten, dass sie optisch kaum vom Original zu unterscheiden sind – das gilt auch für eine Prothese, die einzelne Fußbereiche wie Zehen und Vorfuß ersetzt. Hierfür arbeiten wir mit dem Unternehmen Ottobock zusammen, das ein ausgewiesener Spezialist für die Fertigung von Silikonprothesen ist.
Welche weiteren Eigenschaften zeichnet Silikon aus?
Herr Scherzl: Silikon ist ein sehr elastisches, formbares und besonders hautverträgliches Material – ideale Bedingungen für die Gestaltung einer Prothese mit hohem Tragekomfort. Wer eine Vorfußprothese aus Silikon trägt, kann in der Regel auch konfektionierte Schuhe tragen und sogar barfuß laufen. Zudem ist Silikon wasserfest, antibakteriell, langlebig, leicht zu reinigen und überhaupt leicht in der Handhabung.
Und diese Eigenschaften treffen auch auf eine Vorfußprothese aus Silikon zu?
Herr Scherzl: Genau. Eine Vorfußprothese aus Silikon lässt sich zudem exakt auf die individuellen anatomischen Gegebenheiten und die Bedürfnisse des Betroffenen abstimmen – sie passt gewissermaßen wie angegossen. Der perfekte Sitz und Halt zeichnet eine Vorfußprothese aus Silikon aus. Darüber hinaus ermöglicht eine Silikon-Vorfußprothese ein weitgehend natürliches Gangbild. Denn sie bietet eine volle Fläche zum Aufsetzen und Abrollen, sodass der Betroffenen sicher gehen kann. Weil sich die Prothese beim Gehen oder Laufen flexibel verformt, bewegt sich auch der Körper richtig, ohne dass die Muskulatur überlastet oder eine Schonhaltung eingenommen wird. Deshalb lässt sich eine Silikon-Vorfußprothese praktisch in jeder Lebenslage tragen: im Alltag, im Beruf, in der Freizeit oder auch im Sport.
Bis der Betroffene seine endgültige Prothese erhält, kann es jedoch einige Zeit dauern …
Herr Scherzl: … das ist richtig. Da jede Vorfußprothese aus Silikon einzeln gefertigt und individuell an den Stumpf angepasst wird, der Stumpf jedoch nach der Amputation noch eine ganze Weile immer wieder seine Form verändert, kommen erst einmal Übergangsprothesen als Zwischenlösung zum Einsatz. Diese können immer wieder ohne großen Aufwand an die Veränderungen angepasst werden, bis der Stumpf zu seiner bleibenden Form gefunden hat. Dies ist meist nach etwa drei bis sechs Monaten der Fall. Im nächsten Schritt wird dann die endgültige Prothese gefertigt, sie wird auch Definitivprothese genannt.
Wie gehen Sie im Einzelnen vor?
Herr Scherzl: Die Grundlage für eine erfolgreiche Prothesenversorgung ist eine genaue Formermittlung des Stumpfes. Dies erfolgt mittels eines Gipsabdrucks. Dabei werden in einem speziellen Verfahren die spätere Größe des Prothesenfußes und die Gegebenheiten im Alltagsschuh erfasst. Aus dem Gipsnegativ wird dann eine Positivform erstellt, die nach bestimmten Richtlinien modelliert wird. Basierend auf diesem Modell entsteht im nächsten Schritt die erste Probeprothese. Sind in dieser Übergangsphase Nachpassungen notwendig, kann nachträglich in den Probeschaft ein Zweikomponentensilikon eingebracht werden.Meist wird vor der Fertigstellung der Definitivprothese noch eine zweite Probeprothese hergestellt, die dann bereits weitestgehend die optimale Passform aufweist.
Franz Scherzl ist Orthopädietechnikermeister und Geschäftsführender Gesellschafter der Orthoforum Orthopädietechnik in München-Perlach.
Orthoforum ist zertifizierter Partner der Firma Ottobock und gehört zu den Spezialisten für Prothesenversorgung.