In Deutschland bieten nur wenige Kliniken einen beidseitigen Hüft- oder Kniegelenkersatz in einem Behandlungsschritt an. »Dabei ist ein solcher Simultaneingriff dank innovativer Operationstechniken und wenig belastender Anästhesieverfahren heute in vielen Fällen problemlos möglich – eine entsprechende Indikation und ein gutes Allgemeinbefinden des Patienten vorausgesetzt«, sagt der renommierte Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am Krankenhaus Barmherzige Brüder München Prof. Dr. Johannes Beckmann.
von Dr. Nicole Schaenzler
Herr Prof. Beckmann, was sind die häufigsten Gründe für einen operativen Hüft- oder Kniegelenkersatz?
Prof. Beckmann: Der häufigste Grund ist ein hoher Leidensdruck infolge anhaltender Schmerzen und Bewegungseinschränkungen. Ursache ist in vielen Fällen eine fortgeschrittene Arthrose, bei der im Gelenk Knochen auf Knochen reibt, weil die schützende Knorpelschicht zerrieben ist – ein Zustand, der starke Schmerzen hervorruft. In diesem Stadium greift eine konservative Behandlung meist nicht mehr, um die Beschwerden zufriedenstellend zu lindern. Dann kann eine Knie- oder Hüftendoprothese dem Patienten bei der Wiedererlangung einer besseren Lebensqualität wertvolle Dienste leisten. Entscheidend für den Behandlungserfolg ist jedoch, für die Implantation der Endoprothese eine Klinik mit Erfahrung und Kompetenz zu wählen.
Bei fast 20 Prozent der Patienten sind beide Seiten von einem schmerzhaften Hüft- oder Kniegelenkverschleiß betroffen – aber nur selten werden sie zeitgleich in einer OP durch zwei Endoprothesen ersetzt. Woran liegt das?
Prof. Beckmann: Anders als etwa in den USA oder Kanada, wo sehr häufig bilateral operiert wird, war es hierzulande tatsächlich lange Zeit üblich, erst das eine und einige Zeit später das andere geschädigte Gelenk durch eine Endoprothese zu ersetzen. Dank der Errungenschaften der modernen Endoprothetik sind die Risiken und die Belastungen für den Patienten heute jedoch sehr viel geringer als noch vor einigen Jahren. Modernste muskel- bzw. gewebeschonende Operationsmethoden, bewährte Prothesensysteme für alle Formen und Eventualitäten und –nicht zu vergessen – das Fast-Track-Konzept für eine schnellere Genesung haben wesentlich dazu beigetragen, dass wir den Betroffenen heute in vielen Fällen bedenkenlos zu einem beidseitigen Ersatz ihrer Knie- oder Hüftgelenke raten. Ich selbst habe allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres schon mehr als 20 Simultaneingriffe durchgeführt – und die Patientinnen und Patienten waren alle sehr zufrieden.
Welche Vorteile hat eine beidseitige Knie- oder Hüftgelenksoperation?
Prof. Beckmann: Tatsächlich zeichnet sich ein simultanes Vorgehen durch eine ganze Reihe von Vorteilen aus – denn es handelt sich ja nur um einen Eingriff. Das bedeutet: nur ein Krankenhausaufenthalt, nur einmal Vollnarkose, nur einmal das Operationsrisiko und nur eine Rehabilitationsphase. Gerade viele ältere Betroffene mit stark einschränkenden Beschwerden beidseits profitieren davon, wenn ihnen eine zweite Operation und zwei Mal Reha erspart bleiben.
Muss man sich auf eine längere Reha einstellen?
Prof. Beckmann: Die Phase der Rehabilitation nach einer beidseitigen Gelenkersatz-OP ist kaum länger als wenn nur ein Gelenk ausgetauscht wurde. Man sollte sich aber darauf einstellen, dass die ersten Tage bis Wochen nach dem Eingriff härter und anstrengender sind als nach einer einseitigen Operation. Mithilfe eines guten Schmerzmanagements, gezielter Mobilisierungsmaßnahmen und anderer Maßnahmen des Fast-Track-Konzepts fühlen sich die Patienten jedoch oft rasch wieder besser.
Gibt es auch Patienten, für die ein Simultan-eingriff nicht geeignet ist?
Prof. Beckmann: Patientinnen oder Patienten mit einer gravierenden Vorerkrankung, z.B. am Herzen, einem schlecht eingestellten Diabetes oder einer anderen schwerwiegenden Erkrankung, raten wir von einer beidseitigen OP ab. Gleiches gilt für Patientinnen und Patienten, die älter als 85 Jahre sind.
Manchmal ist ein Gelenk schlimmer betroffen als das andere. Macht es dann Sinn, vorsichtshalber gleich beide Gelenke zu ersetzen?
Prof. Beckmann: Von einem prophylaktischen Gelenkersatz rate ich grundsätzlich ab. Auch wenn ein neues Knie- oder Hüftgelenk dem Patienten bei der Wiedererlangung einer besseren Lebensqualität wertvolle Dienste leisten kann und der Ersatz eines Knie- oder Hüftgelenks heutzutage zu den zuverlässigsten Operationen überhaupt gehört, sollte ein solcher Eingriff immer gut überlegt sein. Dies gilt umso mehr, wenn ein Gelenk eigentlich noch in einem guten Zustand ist und gut auf konservative Behandlungsmaßnahmen anspricht.
Zur Person
Prof. Dr. Johannes Beckmann ist Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Krankenhauses Barmherzige Brüder München. In der Klinik, die zu den größten orthopädischen Kliniken Deutschlands gehört, werden jährlich mehr als die Hälfte der 4 700 stationären Patienten im zertifizierten Endoprothetikzentrum der Maximalversorgung (EPZmax) behandelt. Damit ist das Krankenhaus Barmherzige Brüder führend in München.
Prof. Beckmann verfügt über eine ausgewiesene Expertise für Endoprothetik und ist in Fachkreisen international anerkannt. Unter anderem ist er aktives Mitglied in den Präsidien der großen renommierten Fachgesellschaften wie der Deutschen Gesellschaft für Endoprothetik (AE), der Deutschen Kniegesellschaft (DKG) und der European Knee Gesellschaft (EKS) und wirkt an der Überarbeitung der Leitlinien, etwa zur Gonarthrose, mit. Außerdem hält Prof. Beckmann an der Universität Regensburg regelmäßig Vorlesungen und Seminare. Bislang hat er weit über 100 Studien und Journalbeiträge in nationalen und internationalen medizinischen Fachzeitschriften veröffentlicht.
Nähere Infos:
www.barmherzige-muenchen.de